Übergang
Im Gespräch mit Josef Schulz
Regina Michel
RM: Josef, du kombinierst seit einigen Jahren traditionelle analoge Fotografie mit digitaler Bildbearbeitung. Bei der Serie "Centre Commercial" hast du Einzelbilder zu Panoramen zusammengesetzt, bei "Sachliches" und "Formen" hast du den Grad der Bildbearbeitung kontinuierlich gesteigert, den Ortsbezug und alle narrativen Elemente eliminiert. Was ist der Hintergrund für diese Entwicklung?
JS: Ende der 90er Jahre hatte ich das Gefühl, dass ich mit den mir in der klassischen Fotografie zur Verfügung stehenden Mittel nicht mehr weiter komme. Ich wollte mir gerne eine Arbeitweise schaffen, die mich sehr viel unabhängiger macht und mir mehr Möglichkeiten gibt. Es war dann nahe liegend, zur Bildbearbeitung zu greifen. In der Serie “Centre Commercial“ ging es zunächst darum, Situationen zu beschreiben, wie ich es mit der klassischen Fotografie nicht konnte. Während der Arbeit an dieser Serie haben sich mir Stück für Stück viele andere Möglichkeiten der Bildbearbeitung erschlossen und bereits nach relativ kurzer Zeit war mir klar, dass die Bildbearbeitung ein wesentlicher Teil meiner Arbeit werden wird. Heute ist sie für mich einfach ein weiterer Arbeitsschritt. Vor allem habe ich dadurch eine viel größere Freiheit erlangt. Ich weiß nicht, wann mir der Begriff zum ersten Mal bewusst wurde, aber der Schritt von abbildender zu bildgebender Fotografie ist für mich ausschlaggebend und beschreibt meine Arbeitsweise sehr gut.
RM: Für die Serie "Sachliches" hast du die banale, auf den ersten Blick wenig bildwürdige Architektur der Vorstädte fotografiert. Du hast die Ausgangsfotografien, beispielsweise von Lagerhallen, dann am Computer auf ihre geometrischen Strukturen reduziert und dabei Farbe und Form zugunsten eines malerischen zum Teil skulptural anmutenden Ausdruckes gesteigert. Das Ergebnis sind Arbeiten, die mit ihrer ganz eigenen Ästhetik, die aufgrund ihrer Verfremdung nur noch wenig an das Ausgangsmaterial erinnern. Welche Bedeutung spielt das Ausgangsmedium, die analoge Fotografie, dann überhaupt noch für diese Serien?
JS: Die analoge Fotografie bleibt sehr wichtig. Der Reichtum in der Oberfläche, in der Struktur kann nur über die Fotografie kommen, diesen Reichtum kann ich mir nicht erschaffen. In den Serien "Sachliches" und “Formen" ist mir eine Transformation der Flächen wichtig. Als Basis benötige ich eine fotografische Vorlage, die mir als Skizze dient.
RM: Deiner jüngsten Serie "übergang" liegen wieder Fotografien von Zweckarchitektur zu Grunde. Diesmal hast du aufgegebene, zwecklos gewordenen Grenzübergänge in der EU fotografiert und digital bearbeitet. Grenzübergänge sind ja eigentlich keine Orte an denen man freiwillig länger verweilen möchte. Sie sind, wenn man so will, unwirtliche Orte, die man möglichst schnell verlassen möchte.
Was macht für dich den Reiz dieser sinnlos gewordenen Grenzarchitekturen aus?
JS: Die Serie "übergang" hat einen autobiografischen Ansatz. Ich habe in meiner Jugend geschlossene Grenzen erlebt. Vor einigen Jahren stellte ich dann verwundert und fasziniert fest, dass es den Moment des Haltens an der Grenze, die Konfrontation mit den Grenzbeamten in Europa kaum noch gibt, dass meine Erfahrungen der Grenzübertritte, die ich mit vielen Menschen teile, obsolet geworden war. Diese Erfahrung, die Erleichterung aber auch das Befremden wollte ich visualisieren und fand es wichtig, diese Erinnerungen durch meine Arbeit wachzurufen.
RM: Du bearbeitest in dieser Serie das Ausgangsmaterial weniger stark als bei anderen Serien. Warum diese Zurückhaltung?
JS: Von Anfang an war mir klar, dass die Serie diesmal einen dokumentarischen Charakter haben musste, gleichzeitig war es mir wichtig, dass es eine Verbindungslinie zu meinen bisherigen Arbeiten gibt. Ich habe einen Weg gesucht, dokumentarisch zu arbeiten, aber in einer mir angemessenen Art und Weise. Deshalb habe ich mir trotz des dokumentarischen Charakters der Serie einige Freiheiten herausgenommen und bildnerisch eingegriffen.
RM: Obwohl du den Ortsbezug zugunsten der Vergleichbarkeit und Fokussierung auf die Grenzarchitektur zurücknimmst bleibt die Grenzsituation mit ihren nationalen Besonderheiten sichtbar…
JS: Eine wichtige Erkenntnis bei meinen Reisen war, dass die Erfahrung der Grenze, des Anderen, des Fremden, trotz offener Grenzübergänge und fehlender Kontrolle noch deutlich zu spüren ist. Die "Erfahrbarkeit des Unterschiedes" hat mich erstaunt. Obwohl man lediglich zwei-, dreihundert Meter gefahren ist, betritt man immer noch eine gänzlich andere Gesellschaft mit einer anderen Sprache, anderen Gewohnheiten und Werten, einer anderen Architektur, veränderten Straßen- und anderen Siedlungsstrukturen. Der Übertritt der Grenze ist auch dadurch sofort mit einem anderen Lebensgefühl verbunden.
RM: Die Serie erinnert in ihrer konzeptuellen Strenge aber auch durch ihren dokumentarischen Charakter an Arbeiten von Bernd Becher, bei dem du studiert hast. Du bewahrst die Grenzübergänge, die sicherlich irgendwann verschwunden sein werden, in deiner Arbeit vor dem Vergessen. Welche Rolle spielt die Bedeutung der Grenzen als Zeitzeugen in deiner Arbeit?
JS: Eine sehr große. Es gefällt mir, dass man anhand der Arbeit verschiedene Zeithorizonte ablesen kann. Man reist von Ost nach West und von Nord nach Süd, kann das kontinuierliche Wachsen der EU nachvollziehen, dabei aber auch immer wieder die Einflüsse der jeweiligen Gesellschaft auf die Grenzarchitektur ablesen. Durch die Vergleichsmöglichkeit innerhalb der seriellen Arbeit treten die national geprägten Besonderheiten der Grenzarchitekturen deutlicher zu Tage. Ich denke, die Serie "übergang" wird so selber zu einem Stück Zeitgeschichte.
Dass die Arbeit stärker als andere Serien an Arbeiten von Becher denken lässt ist sicherlich kein Zufall. Mich hat das konzeptuelle Herangehen bei Becher fasziniert. Das war einer der Gründe, warum ich bei ihm studiert habe. Die Dokumentation ist sicher eine der Hauptaufgaben der Fotografie. Allerdings möchte ich diesen Aspekt in meiner Arbeit auch nicht überbewerten, aber für das Projekt "übergang" war er wichtig.
RM: Du gehst dabei ja auch über die Dokumentation hinaus, fokussierst durch das Abschwächen des Hintergrundes und setzt die Grenzarchitekturen so ja auch in Szene. Durch diesen Eingriff und die damit verbundene Irritation zwingst du den Betrachter zum Innehalten.
JS: Dieses Innehalten ist mir wichtig. Ich versuche, in allen meinen Bildern einen Punkt zu erreichen, der zum Anhalten bewegt. Dieser Punkt der Irritation, die Fragen, die ein Bild aufwirft, ist auch in dieser Serie gegeben, durch den Eingriff in das dokumentarische Material. Der Betrachter soll die Bildkonzeption überprüfen können.
RM: Kann man sagen, Du nutzt in dieser Arbeit die Unschärfe, den "vernebelten" Hintergrund, um die Wahrnehmung des Betrachters zu schärfen?
JS: Die Reduktion des Hintergrundes ist in erster Linie eine Freistellung und dient zur Hervorhebung des Übriggebliebenen. In dieser Serie war es mir wichtig, dass das Originalbild noch lesbar bleibt, deshalb bleibt die Umgebung im Hintergrund auch sichtbar, wenn auch zurückgenommen. Die Verortung bleibt somit erhalten.
RM: Welche Bedeutung hat die Fokussierung auf die eigentliche Grenzarchitektur für die Arbeit?
JS: Im Grunde genommen ist es ein Eingriff zu Gunsten des Bildmotivs und der Bildstruktur. Wie in den anderen Serien gebe ich meinen Bildern durch die Eingriffe eine Struktur vor. Ich versuche ein bestimmtes Stilmittel für die jeweilige Serie zu finden, konzentriere mich auf bestimmte Elemente, hebe Symmetrieachsen oder architektonische Elemente hervor, so dass im Endeffekt ein für mich stimmiges Gesamtbild entsteht.
RM: Spielt das Motiv der "Grenzüberschreitung" im übertragenen Sinn auch auf die Frage nach den Grenzen der Fotografie, bzw. auf die Bedeutung der "medialen Grenzüberschreitung" in deiner künstlerischen Arbeit an?
JS: Die Frage nach den Grenzen der Fotografie stelle ich mir immer wieder. Ich glaube, die Fotografie hat die Funktion der klassischen Dokumentation unserer Wirklichkeit eingebüßt. Das beschreibende Element in der Fotografie geht, wie ich meine, etwas zurück. Für mich war diese Entwicklung einer der Gründe, mir ein neues Feld in der Fotografie zu suchen. Ich habe immer wieder die Beschränkung durch bestimmte Elemente innerhalb der Fotografie erfahren. Für mich und meine Arbeit ist die Unabhängigkeit von diesen beschränkenden Elementen wichtig, insbesondere auch die Freiheit der Entscheidung, wie ich mit einem Bild verfahre. Insofern überschreite ich die Grenzen der klassischen Fotografie ganz bewusst.
RM: Du arbeitest gerne mit Unorten, mit Vorstadtarchitektur, Einkaufszentren, Lagerhallen oder eben Grenzübergängen. Alles reine Zweckarchitekture und, eher unwirtlich. Was macht für dich die Faszination dieser banalen Architekturen aus?
JS: Insgesamt ist es das formale Chaos, das mich anzieht. Die innerstädtischen Architekturen sind für mich zu sehr durchdacht, spiegeln zu sehr die Stadtplanung. In den "Unorten" findet man häufig chaotischere Strukturen, die sehr viel interessantere Momente ergeben. Das "Unaufgeräumte, Chaotische" ist als Ausgangsmaterial für mich einfach spannender und auch authentischer.
RM: ..aber diese chaotischen, vorgefundenen Strukturen bereinigst du dann ja mittels Bildbearbeitung. Erschaffst du hier nicht sogar eine neue Realität? Gerade "Formen" und "Sachliches" bestechen durch ihre formale Strenge und ihre ganz eigene Ästhetik.)
JS: Der Prozess der Transformation ist wesentlich für meine Arbeit. Er dient dabei vor allem dazu, die Aussage des Bildes zuzuspitzen. Bei "Formen" geht es vor allem um die dreidimensionalen Ausprägungen, den skulpturalen Aspekt. Bei "Sachliches" stehen Farben und Strukturen, oder wenn man so will die malerischen Elemente im Vordergrund. Aber auch bei "übergang" habe ich mich auf bestimmte Bildelemente konzentriert und diese verstärkt bzw. in den Vordergrund gestellt. Dahinter steht der Versuch, eine Wirklichkeit zu schaffen die mehr ist als das Ausgangsbild, als die vorgefundene Realität.
RM: Du arbeitest mit Brüchen zur Realität, um die Wahrnehmung zu schärfen …
JS: … der Bruch ist da ein schöner Begriff. Dadurch dass ich eine sichtbar veränderte, meistens reduzierte Realität zeige, denkt man unwillkürlich darüber nach, wie es eigentlich sein müsste. Das ist ein schöner Moment. Diese Diskrepanz kann so letztlich ein inneres Bild erzeugen.