In Images, A picture book of architecture
Ilka & Andeas Ruby
Josef Schulz: centres commercial
Die fotografischen Panoramen der Serie “Centres Commerciales” von Josef Schulz sind zusammengesetzt aus Einzelbildern, die anschliessend mit digitaler Bildbearbeitung zu einem verbunden wurden. Die Einzelbilder sind von verschiedenen Standpunkten gemacht, wobei sich der Fotograf parallel zu der linearen Front der Einkaufsgebäude bewegt hat. Deswegen sieht man von den Gebäuden häufig sowohl die linke als auch die rechte Seitenwand in perspektivischer Verkürzung, so dass die Gebäude so erscheinen, als hätten sie einen sich nach hinten trapezförmig verbreiternden Grundriss. Die fotografische Komprimierung fasst die Einzelgebäude zu einem Gesamtgebilde zusammen – einem Centre eben. Erst in dieser synthetischen Sicht wird deutlich, dass die Centres nicht einfach willkürliche Kombinationen unzusammenhängender Einzelgebäude sind. Vielmehr weisen sie häufig durchgehende Typologien auf, die auf bizarrre Weise einem suburbanen genius loci zu folgen scheinen. So präsentiert sich der Centre in Nimes durch Sheds mit grossen Vordächern auf Stützen und grossen Schriftzügen vor blauem Himmel. Der durchgehende Grünstreifen im Vordergrund gibt der Szenerie etwas heiteres - Pavillons im Park. Ganz anders der Centre in Metz: Blechboxen mit Schaufensterfronten suggerieren ein eher urbanes Einkaufsprinzip und eine gewisse Flaneurkultur, nicht zuletzt wegen des Fusswegs und dem Strassenbelag im Vordergrund. Die Einkaufs-Landschaften zeichnen sich durch paradoxe Eigenschaften aus: einerseits sind sie von einer kaum überbietbaren architektonischen Banalität (selten sind Architekten an ihrer Planung beteiligt); andererseits sind sie enorm wirkungsvoll, allein durch die grosse Zahl des Publikums, dass sie benutzt. Durch die Verwendung des Panoramas scheint uns der Fotograf ganz bewusst mit dieser gerade von Architekten gern verdrängten Realität konfrontieren zu wollen, war doch das Panorama historisch immer für die Darstellung bedeutungsvoller Sujets wie mythische Landschaften oder historische Schlachtszenen reserviert. Vielleicht sind die suburbanen Einkaufswelten ja die Schlachten und Landschaften unserer zeitgenössischen Urbanität. Auf jeden Fall erscheinen sie uns in den Panoramen alles andere als banal, weil wir spüren, dass wir eigentlich nicht als distanzierte Betrachter vor diesen Bildern stehen, sondern als latente Protagonisten nur vorübergehend im Off warten, bevor wir in der Welt auftauchen, die Josef Schulz uns vorhält.
Josef Schulz: sachliches
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, handelt es sich bei den Bildern der Serie“sachliches” von Josef Schulz um Fotografien real existierender Gebäude. Allerdings wurden die Fotografien anschliessend digital so bearbeitet, dass die Realität des Dargestellten in Zweifel gezogen wird. Doch erscheint das Dargestellte auch nicht vollkommen unreal, was die Verunsicherung des Betrachters noch steigert. So gibt es Bildstellen, die ganz offenkundig überarbeitet sind und manchmal geradezu malerische Effekte benutzen (so erinnert die Lichtführung in “Haus rot grau” and Bilder Edward Hoppers). Dem widersprechen andere Partien, denen man ihre fotografische Entstehung sehr deutlich ansieht. Dabei variiert das Mischungs-verhältnis zwischen fotografischer und malerischer Realitätskonstruktion von Bild zu Bild. Manche Bilder erscheinen zunächst eher als gemaltes Bild, bevor sie ihr fotografisches Palimpsest zu erkennen geben. Andere geben sich erst ganz unschuldig als Fotografie, um uns später umso wirkungsvoller in ihre “gemalten” Untiefen zu führen.
Auch sind die Strukturen massstäblich immer sehr schwer einzuschätzen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass alle Elemente entfernt sind, durch die wir den Masstab der Objekte einschätzen könnten. Deswegen bleibt bis zum Schluss unauflösbar, ob wir es hier tatsächlich mit grossen Industriehallen in einem Gewerbepark zu tun haben, oder nicht doch mit Modellen, die im Atelier des Künstlers aufgebaut wurden. Klar ist nur, dass wir die Entscheidung über Realität oder Nicht-Realität der Darstellung selbst treffen müssen, das Bild nimmt sie uns nicht ab.
Ilka & Andeas Ruby Orginal in Englisch in Images, A picture book of architecture, Prestel-Verlag, 2004