City Scapes
von Patrik Metzger
Der Wanderer in den Bergen schützt seine Augen mit dunkel getönten Gläsern, um nicht gegen die Sonne anblinzeln zu müssen. Zwar sucht er das Licht, denn diesem steigt er entgegen; er geniest das Flimmern und Gleisen. Doch sein Antrieb ist die Weite, die sich hinter und unter ihm auftut, je höher er kommt. Ab und an wird er innehalten, um Luft zu holen, um den Blick schweifen zu lassen und um sich zu berauschen an dem Gewimmel, dem Zuviel, an der kleiner werdenden, zu Strukturen und Kürzeln zusammenschrumpfenden Welt dort unten.
Josef Schulz hat eher selten den erhöhten Standpunkt gesucht. Hallen und Formen erhoben sich in weiten Ebenen, Brücken und Highways fuhren über den Betrachter hinweg, Schilder blickten aus amerikanischen Himmeln auf ihn herab. Noch bei seiner in den Alpen entstandenen Serie Terraform geht der Blick horizontal oder nach oben, hin zu Geröll und feindlich schrundigen Hängen.
Einen Perspektivwechsel zeitigt die Serie Übergang. Eine ganze Reihe der Grenzhäuschen befindet sich in den Bergen. Dort, wo wir nicht seitlich auf sie blicken, sondern der Straße folgen, tun sich immer wieder auch Täler auf. Der Blick könnte ungestört hinab in die Ferne gehen, wäre da nicht ein dunstig weißer Schleier, in welchen sich die Landschaften hinter den Grenzen hüllen – eine Zutat der Nachbearbeitung am Rechner. Die Ferne rückt ins Unerreichbare.
Für seine neue Serie City Scape begibt sich Josef Schulz in das Reich der Mitte – hinein in Städte, deren aberwitzige Größe europäische Maßstäbe um ein Vielfaches sprengen. Tagelang lässt er sich von den U-Bahnen aus dem Bauch der Stadt ins grelle Tageslicht tragen, weit hinaus in die Peripherie, wo die Erschließung endet, und wieder zurück. Er fährt und fährt – fasziniert, verloren, überwältigt – bis er ahnt, wonach er sucht: Es sind die Aquarelle chinesischer Landschaftsmaler, welche ihm die Richtung weisen. Er erkennt Blätter, Bäume, Felsen, Böden, Formen. Er sieht die Zwischenräume, die Übergänge, er sieht die Landschaften, die sich im Weiß der zarten Papiere verlieren. Er sehnt sich nach dem hinabschweifenden Blick, der Virtuosität der Hand, welche dem Pinsel das Wenige diktiert, was präzise zu setzen ist, damit die Imagination die Leerstellen füllen kann.
Josef Schulz verlässt den Fensterplatz. Er steigt dort aus, wo dem Reisenden die Stadt gesichtslos erscheinen muss; er meidet die historischen Zentren, die Museumsmeilen mit ihren gesichtsgebenden Fassaden. Er nimmt den Fahrstuhl inmitten von umzäunten Wohnbezirken und lässt sich emportragen. Ganz oben tritt er ins Freie, ist geblendet und schaut, bis er die Wiederholungen, Strukturen und Regelmäßigkeiten wiederfindet. Der Horizont verliert sich im Dunst; er entzieht sich schon exakt im Sinne des Künstlers. Doch es fehlt etwas; die Welt ist bei Josef Schulz nie genug. Das wird der digitale Eingriff erledigen, die Nachbearbeitung: In die Partien unter und zwischen den Wohnblöcken, im Übergang kaum lokalisierbar, wird er drei weitere Schichten Stadt übereinander blenden.
Nun ist es nichts Neues, dass Josef Schulz montiert, Bildpartien kopiert, vervielfältigt, vor sich her und ineinander schiebt wie der Maler seine Farbe am Ende des Pinsels. Doch mit Mehrfachbelichtungen – unverändert über die ganze Bildbreite hinweg –, hat Schulz nie gearbeitet. Die Wirkung ist verblüffend, denn das Mehr an Information führt hier nicht zu einer Überforderung des Auges. Tatsächlich erwächst aus dem Über- und Nebeneinander Ruhe. Auch hat der Eingriff nichts technisch Kaltes. Die Kanten, Linien und Strukturen zerfallen und wirken nunmehr organisch erdig, sie werden zum Humus, dem die Wohnblöcke entwachsen. Trotz ihrer prosaischen Haptik mit der sie schmerzlich-klar vor dem Betrachter stehen, ihm die Sicht auf den im Dunst verlorenen Horizont nehmen, gibt es keinen Zweifel: Es ist das im Boden verborgene riesige Geflecht, das Myzel, was hier am Wirken ist, das den Pilz erst hervorbringt. Auf diese Weise gelingt Josef Schulz ein anderer Blick auf Stadt. Diese mag in Beton, Stahl und Glas zur Form auskristallisieren, dennoch bleibt sie immer Organismus.
City Scapes erzählt vom Wachsen und Verfallen. Auch in China stehen Wohnhäuser nicht ewig. Wo sie vor der Zeit altern oder ihren Platz im sich ändernden Gefüge der Stadt nicht finden, müssen sie Neuem weichen. Doch auch wenn die Naturmetapher auf der Hand zu liegen scheint, Trost und Geborgenheit spendet sie nur bedingt. Das Individuum nimmt sich in Anbetracht der Größe des Ganzen winzig und unbedeutend aus. Davon, dass dies dem Gefühl von Erhabenheit nicht abträglich sein muss, kann der Wanderer in den Bergen berichten. Allerdings wohnt der nicht, wo er wandert, und er schützt seine Augen hinter dunklen Gläsern.
Für einen Aufbruch zu anderen Horizonten ist das weiß-graue Nichts jedenfalls zu vage, aber davon werden auch die alten chinesischen Meister nicht gesprochen haben.