Minimal Photography
Überlegungen zu den Arbeiten von Josef Schulz
Marc Ries
1. Ich bin nicht der Welt zugewandt. Mein Gesicht ist der WAND zugewendet. Nichts auf der Wandfläche ist mir unbekannt. Paul Valéry
Das, was Valéry hier als Opposition aufbaut, Welt und Wand, kennen wir auch als Gegensatz von Wirklichkeit und Künstlichkeit oder von Natur und Kultur. „Natur“, so Zygmunt Bauman in Anlehnung an Wittgenstein, „bedeutet schließlich nichts anderes als das Schweigen des Menschen“. Angesichts der Natur, der Wirklichkeit oder Welt verstummen wir, nur über unsere eigenen Werke, unser hergestellte Wirklichkeit, unsere technisch hervorgerufenen Artefakte vermögen wir uns zu verständigen, haben wir ein Wissen und eine Sprache. Die Wand ist uns deshalb bekannt, da sie Ergebnis einer weitläufigen Denaturierung ist, Ziegel werden gebrannt, Wellblech in industriellen Prozessen geformt usw. Diese vom Menschen geschaffene zweite Natur, die Wände um uns, die Container, die uns einschließen, die künstlichen Wirklichkeiten unserer kulturellen Evolution – über sie können wir uns unterhalten, mit ihnen können wir umgehen.
Auch in den Fotografien von Josef Schulz schauen uns Wände an, die uns sehr vertraut sind. Befreit von Gebrauchsspuren und Zeichen erstrahlen die abgelichteten und sorgfältig retouchierten Ding-Bilder in großer Einfachheit und Sachlichkeit. Das, was sie sind, nämlich hergestellte Dingnaturen, zeigen sie auch. Artifizialität ist ihr Programm. Dass die, die Wände umgebende Natur, der Rasen, die Bäume, selbst künstlich, gemacht wirken, mag ein Verweis darauf sein, dass wir uns Natur ja kaum jemals ohne Schöpfung, also ohne einen nicht-natürlichen Ursprung vorgestellt haben. Wie gesagt, selbst die Natur müssen wir, in alle dem, wie wir ihr begegnen, denaturieren. Das vergessen vor allem jene, die auf Unterscheidungen drängen und das Echte vom Unechten, das Sein vom Schein unterschieden wissen wollen. Mein Vorschlag wäre also, die Bilder von Josef Schulz so zu lesen, als ob sie die Grammatik der Denaturierung offen vor uns ausbreiten. Die digitalen Bildbearbeitungsprogramme, die Schulz einsetzt im Sinne der Retouche, als des nochmaligen toucher, des „Berührens“ des Bildes durch einen versierten Verwender, Manipulator bieten hierfür nur Hilfestellung.
2. Jedes künstliche Bild, also: jegliches mit Bildprogrammen denaturierte fotografische Bild, bedarf eines Rohstoffes, eines Ausgangsmaterials um zu dieser seiner Künstlichkeit oder Andersartigkeit zu gelangen.
Die Hallen von Josef Schulz bedürfen also der Hallen im Realen, als res extensa, als Dinge. Diese sind unabdingbare Voraussetzung, sind Modell, Motiv für ihr bildliches Äquivalent – auch wenn dieses Bild etwas anderes zu sagen beansprucht. Um dieses „Andere“ nun aufzufinden, muss der Betrachter der repräsentationalen Logik entsagen, die ja stets voraussetzt, dass im fotografischen Gebrauch der Hallen bereits ihr Sinn eingeschlossen liege, also der Fotograf tatsächlich Hallen „abbilden“ wollte, ob als Affirmation oder als Kritik.
Das Verabschieden der Repräsentation sollte jedoch nicht zu einem konstruktivistischen Pathos führen, zum: „Jede Fotografie ist Kunst als Schöpfung eines gänzlich Neuen“. Vielmehr liegt zwischen beiden, also zwischen Gebrauch/Repräsentation und radikaler Kunst/Subjektivierung jener Raum, um den es mir hier geht, den man auch den Form-Inhalt nennen könnte und den ich als ein >Begehren der Fotografie nach Hallen, nach Funktionselementen oder Centres Commerciaux< umschreiben möchte. Was heißt das?
In der begehrenslogischen Produktion von Hallen durch die Fotografie, gelingt es mir, die Hallen nicht als Gebrauchs- oder Funktionswaren zu befragen, sondern als ästhetische Waren einer weitverzweigten Produktion von Wunschlandschaften. Die Fotografie ist eine ästhetische Ware, also sinnliche Evidenz eines bestimmten Begehrens. Nicht geht es um die industrielle Wirklichkeit der Hallen, sondern um ihre fotografische Transposition, ihre – mit den unterschiedlichsten Mitten herbei geführte – Übertragung in eine andere Dimension, die Dimension der Erscheinung eines Wunsches, eines Begehrens. Doch um eine solche Transposition zu gewährleisten muss das Ausgangsmateriel selbst die Voraussetzungen hierzu anbieten. Der fotografische Akt, damit ist auch die digitale Bearbeitung der Fotografie gemeint, gilt also als eine Art „Geburtenhelfer“ für diese Transposition. Anders gesagt: Die von Josef Schulz fotografierten und transformierten Hallen machen in diesem Prozess ein in ihnen bereits angelegtes Programm sichtbar. Die Sichtbarkeit verdankt sich also der Fotografie. Etwas ist anwesend, doch nicht sichtbar. Um es sichtbar zu machen, bedarf es einer Technik, eines Mediums, vielleicht einer Kunst.
Doch welcher Art ist nun dieses Begehren nach Hallen? Ich gehe davon aus, dass beinahe jeder Betrachter dieser Fotografien zu einer raschen Erkenntnis kommt: So „einfach“ also kann unsere Welt sein, so überschaubar einfach. Diese Baukörper, diese Hallenkörper versteht man ad hoc, augenblicklich, auch wenn man den industriellen Herstellungsprozess nicht rekonstruieren kann und auch nicht wissen kann, was in ihnen passiert. Das Verstehen, also das Wissen darüber, wie die Materialität der Hallen beschaffen ist, z.B. aus Wellblech oder Ziegeln, und wie die Form zu identifizieren ist, nämlich als modular aufgebaute geometrische Grundform, das alles verschafft Erleichterung und Orientierung, verschafft Gewissheit und Sicherheit. Josef Schulz´ Arbeiten befrieden die Sehnsucht nach den einfachen Formen, den mühelos lesbaren Dingen, nach dem wehrhaften Bau, dem Schutzgehäuse. Habitate also, die die Grundbedingung unserer Existenz formulieren, das Eigene gegen das Andere zu wahren, zu bewahren.
Ich würde nicht sagen, dass die Bilder eine bestimmte Wirklichkeit idealisieren oder verschönern. Sie minimalisieren vielmehr diese Wirklichkeit, minimalisieren vielleicht im Sinne der minimal art, so dass sich im Falle von Josef Schulz von einer minimal photography reden ließe. Minimal verstanden als eine Reduktion oder eben Transposition einer vielfältigen, unüberschaubaren Wirklichkeit in eine transluzide, evidente gebraucher-freundliche Bildlichkeit. Denn, wie ausgeführt, alle Betrachter erkennen sofort den von den Fotografien evozierte Gebrauch der produzierten Dinge: sie sind zum einen Habitate gegen die natürliche und auch selbst erzeugte Unübersichtlichkeit, also sind sie Gewohntes, Gewohnheiten gegen das Chaos, gegen die Kontingenz: „habitare und habitus stammen von demselben habere ab, das zunächst „halten“ und „sich halten“, „eine Stätte besetzen“ bedeutet und davon abgeleitet „besitzen“ und „haben“. Es handelt sich um ein Haben mit Seinswert: Es ist die Weise, da zu sein und sich dort aufzuhalten.“ (J.L. Nancy) Zum anderen sind die Fotografien einfach nur Zeichen, die kundtun von unserer Anwesenheit, also sind sie in hohem Masse selbstbezüglich. Und zum dritten sind sie Prototypen unserer Verbraucherexistenz, die Centre Commerciaux sind die Embleme unseres fremdgeleiteten Handelns, Handeln als Verbraucher.
Diese Dinge und ihre fotografische Erscheinung, sie trotzen der biologischen Vielfalt, die wir zu schützen vorgeben, obwohl sie uns bedroht. Sie trotzen dieser Vielfalt mit einer einfältigen, besser minimalistischen Humanität. Dort, das da sind wir, da halten wir uns auf und hier verbrauchen wir.
3. Interessant ist, dass beinahe alle Motive keine Fenster haben, also sich einem Austausch mit der Umwelt verweigern. Es sind geschlossene Container, die teils, wie im Falle der Centre Commerciaux auf ein intensives Innenleben verweisen, dennoch nur das Außen – als Sachliches, als Form – zeigen und feiern. Es sind Manifeste des Außen, der Hülle, der Haut der Dinge, am vortrefflichsten zu sehen in der Fotografie von Y-Tong Blöcken etwa, die ja auch bloß ein Außen haben, wo man also gar nicht auf die Idee kommen würde, das Innere zu befragen. Es sind reine Oberflächen – sie sind artifiziell und superfiziell. Das einzige vermeintliche Naturbild zeigt denn auch nur die Außenseite eines Waldes, in den Hineinzuschauen uns verwehrt bleibt. So denn die Postmoderne Pathosformeln kennt, die Oberfläche, das artifizielle und superfizielle Außen, sie wären eine solche.
Die Centre Commerciaux sind zu Panoramen gestaltet. Das Panorama, bekanntlich eine Technik des 19. Jh., die zwischen Panoptismus und Panoramismus, also zwischen Überwachen und Unterhalten oszilliert, wird meist als kreisförmig, zumindest jedoch als gekrümmt vorgestellt. Josef Schulz´ Panoramen der C. C. nun sind horinzontal, als Linie entworfen. Sie entsprechen damit vielleicht der Erfahrung des Autofahrers der, wie eine filmische Kamerafahrt, geradewegs an den Containern vorbeifährt und somit nur den Eindruck einer endlosen Kette von gleichförmigen, typographisch exzessiv markierten Boxen wahrnimmt. Und sich vielleicht für eine dieser Boxen entscheidet. Borghes hat einmal davon gesprochen, dass die gerade Linie die idealtypischste Form des Labyrinths sei.
Wenn man nun die Raumordnung des Labyrinths als Linie befragt, dann kommt man zu folgendem Schluss: Die linear aufgefächerten, „zyklischen Variationen eines Motivs nehmen dem Einzelbild den Anspruch auf Finalität“ (Werner Hofmann). Gemäss einer ars combinatoria wiederholt sich jegliche Shopping-Box in zahllosen Variationsketten. Wir sind eingeschlossen vom Aussen unserer Warenwelten, die sich endlos duplizieren. Alles wird somit auch zum Shopping-Zentrum. In unserer Zeit, so liesse sich nun Karl Marx paraphrasieren, ist jedes Ding mit seinem Doppelgänger, seinem Duplikat oder Klone schwanger, und das in endloser, horizontaler Multiplikation. Von dieser Vervielfältigungslogik des Kapitals erzählen die labyrinthischen Linien der Shopping Centers in den Bildern von Josef Schulz.
Rede zur Eröffnung der Ausstelllung "Hallen" im MuWa, Museum für Wahrnehmung, Graz, Februar 2005