Gut Ding will Weile haben
Bernd Finkeldey
Josef Schulz hat dereinst sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie absolviert und dabei sowohl die der Dokumentation verpflichtete Fotografie von Bernd und Hilla Becher kennen gelernt als auch die von Thomas Ruff, der Fotografie auch mit Hilfe des Computers bearbeit, um Bilder nach seiner Vorstellung zu schaffen. Josef Schulz hat diese Anschauungen aufgegriffen und fortentwickelt, etwa durch die Werkgruppen »sachliches« und »Formen«, bei denen die Aufnahmen von realer Industriearchitektur bearbeitet werden, um Gebäude auf die grüne Wiese zu setzen, Zugänge, Fenster oder Schriftzüge an Werkhallen ebenso zu entfernen wie Spuren der Nutzung und des Alterns. Den Gebäuden werden somit ihre Identifikationsmerkmale genommen. Sie sind reduziert zu reiner Form. Der Computer wird dabei zum künstlerischen Mittel, um Bilder zu komponieren. Sie stammen aus der Wirklichkeit und scheinen doch unwahr. Sie sind realitätsnah, aber der Wirklichkeit auch abhanden gekommen. Gebautes wird Bildform, ohne aber seine Herkunft vergessen zu machen. Und so lassen sie den Betrachter stetig zwischen den Realitätssphären wechseln und die Grenze zwischen ihnen unmerklich passieren. Grenzen sind Thema der Werkgruppe »übergänge«, für die Josef Schulz bislang etwa 25.000 km zurückgelegt hat, um die Zollhäuser oder -stationen in Europa aufzunehmen, die durch das Schengener Abkommen überflüssig wurden, ihre Funktion verloren haben und dem langsamen Verfall anheim gestellt sind. Auch diese dokumentierende Fotografie wird bearbeit. Die Architektur der Grenzziehungen wird freigestellt und der Blick so auf das einzelne Zollgebäude konzentriert.
Zwar ist hier und dort noch ein Zeichen – ein Hinweisschild oder Schriftzug – zu erblicken, ihre hoheitliche Symbolkraft und Funktion haben diese Anlagen jedoch offensichtlich verloren. Übrig bleibt eine gebaute Form ohne Inhalt und Verweiskraft. Durch diesen Kunstgriff offenbart sich die Banalität dieser Architektur, die auch Kiosk oder Wartehäuschen, Verlade- oder Umladestation, Mautstelle an Straßen oder Parkplätzen sein könnte.
Und doch wird mit diesen Bildern Grenze akzentuiert. Denn während der Vordergrund und das Gebäude vom Bild gestochen scharf wiedergegeben werden, erscheint sein Hintergrund wie von einer leicht milchigen Folie oder Glasscheibe abgedeckt. Diesseits und Jenseits sind voneinander getrennt. Die Grenze ist markiert, der Übergang in die andere Sphäre vor Augen geführt.
Die Bilder von Josef Schulz werden aus der Realität abgeleitet. Doch bilden sie nicht nur ab, sondern bilden. Sie zeichnen sich durch Ähnlichkeit aus. Und entsprechen so auf das Beste dem Satz Martin Heideggers, der das Wesen des Kunstwerks darin erkannte, nicht Ding oder Zeug zu sein, aber das Wesen des Dings oder des Zeugs aufzuzeigen.
Im Entstehen begriffen ist »terraform«, deren Aufnahmen an unterschiedlichen Orten in den Alpen entstanden und Gipfel, Geröllfelder, Berghänge und Seen zeigen. Nun ist dies eine geradezu gewaltige Herausforderung an den Künstler, da ja gerade diese Motive unglaublich oft fotografiert und massenhaft reproduziert worden sind. Doch Josef Schulz findet auch hier Bilder für geradezu überwältigende Bilder. Berg Gipfel oder Felswand #1 und #2 entsprechen dem Fensterbild, durch das ein Ausschnitt der Landschaft gezeigt wird. Doch haben diese keinen Vordergrund. Sie kommen damit ohne Einleitung aus, weisen dem Betrachter aber auch keinen Standpunkt zu. Er steht vor dem Bild und wird doch unmittelbar mit ihm konfrontiert. Dort sieht er ein mit der Plattenkamera aufgenommenes, in allen Details gestochen scharfes Landschaftsbild. Doch ist es nicht natürlich, sondern ähnlich, da auch in dieser Werkgruppe eine Bildbearbeitung stattfindet, bei der eine gleichmäßige – und damit undramatische – Beleuchtung besorgt, das Bild durch Multiplikation und Spiegelung gebaut wird.
Heinz-Martin Weigand schreibt, dass Josef Schulz gerade dieses Moment interessiert, in dem Authentizität und Konstrukt verschwimmen, wo nicht mehr deutlich ist, welches Detail original und welches digital hinzugefügt wurde. Diese Bilder ermöglichen aber auch eine Erfahrung, welche die Friedrich Schiller noch in der Natur erleben konnte. Das Erhabene. Der Blick verliert sich, wie Arnold Gehlen konstatiert, in den unbeschreiblichen Details der Bildoberfläche in feinfarbigen und feinstrukturellen Einheiten, bis man die Erfahrung macht, keinen Maßstab zu finden und dass die vollständige Aneignung von irgendwas in der Welt überhaupt unmöglich ist. Bei größerem Abstand hingegen wechselt der Gesamteindruck total, ähnlich wie eine Landschaft, in der man sich bewegt hat, vom Flugzeug aus völlig andere Aspekte bietet. Uns begegnet in »terraform« das Erhabene, die Überforderung der Wahr-nehmung, und es erweist sich, dass man zum Begreifen gelegentlich auf das Begreifen verzichten muss.