Fokus auf Josef Schulz
Frankfurter Rundschau, 2.3.2002
Vanessa Müller
Industrielle Funktionsarchitektur zeichnet sich nicht gerade durch individuelle Gestaltung aus. Die Hallen auf grüner Wiese, die Josef Schulz fotografiert, wirken mit ihren streng geometrischen, jeder lokalen Spezifik enthobenen Ästhetik jedoch fast schon surreal. So poppig, so abstrakt sehen rationale Nutzbauten selten aus.
Josef Schulz, der an der Düsseldorfer Kunstakademie erst in der berühmten Becher-Klasse war, später dann bei Thomas Ruff studiert hat, erkundet jenen Grenzbereich zwischen Fotografie und Malerei, wo das Bild der Wirklichkeit nicht mehr unbedingt in die Kategorie des Authentischen fällt. Vorgeblich dokumentarisch nüchtern, erweist sich die Sachlichkeit seiner Architekturfotografie schnell als Strategie der Inszenierung, bei der Farben ins Fiktive gesteigert und Raumbezüge verunklärt werden. "Wenn man Fotos ansieht, gibt es immer Stellen, die man faszinierender findet als andere." Josef Schulz fotografiert die verschiedenen Hallen und Lagerstätten zunächst ganz traditionell mit einer großformatigen Plattenkamera, macht sich dann aber daran, solche prägnanten Momente gezielt zu übersteigern und visuelle Muster auf das Gesamtbild zu übertragen. Das analoge Foto wird digital nachbearbeitet und von störenden Details befreit. Alles, was als Indiz einer geografischen Lokalisierung gelten, alles, was Auskunft über die Nutzung der Gebäude geben könnte oder Rückschlüsse auf tatsächliche Größenverhältnisse zulässt, wird am Computer sorgsam eliminiert. Übrig bleibt eine prototypische Architektur, die ein wenig aussieht wie Lego für unkreative Erwachsene. Die bunten Wellblechbauten erinnern an virtuelle Entwurfsskizzen und basieren doch auf einem "100 prozentigen Zugriff auf das, was es gibt".
Mit seinem Verfahren subtiler Manipulation nähern sich Josef Schulz´ Fotografien bewusst der Malerei an, wenn sie durch Wegnahme und Veränderung die in der Fotografie festgehaltene "Wirklichkeit" zum Material erheben, aus dem dann die eigentliche Wirklichkeit des Bildes entsteht. Der direkte Bezug zum abgebildeten Gegenstand ist da fast schon zweitrangig. Die Gebäude, die Schulz fotografiert, werden vielmehr zum Auslöser einer Beschäftigung mit der Fotografie an sich und ihrem Bezug zu einer Realität, die selbst immer mehr durch medial vermittelte Bilder wahrgenommen wird. "Was man sich unter einer objektiven fotografischen Sicht vorstellt, gibt es gar nicht; jede Fotografie ist das subjektive Produkt dessen, der sich der Wirklichkeit annähert", betont Schulz. In seiner medialen Transformation treffen Realität und kompositionelle Verfremdung aufeinander, bis man nicht mehr sagen kann, was eigentlich echt ist. Die rot-weißen Streifen der "Halle rot" gehören recht offensichtlich ins Reich der Fiktion, aber an welchen Stellen die "Halle rot-grau" von ihrem tristen Vorortdasein befreit worden ist, bleibt schwer zu sagen. Als Gegenentwurf zu der aufgeräumten Welt der Städte ist diese optimierte Industrielandschaft ein perfektes Terrain zum Testen, wie weit sich faktische Gegenwart und visuelle Vorstellungskraft durchdringen können, ohne den Realitätsbezug zu verlieren.